a Harst, Cœlestin: Musicalische Orgel= Lob= und Ehren=Predigt (s.l. 1751)
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m Ereignisse (2)
y Bibelstellen (26)
- 1 Korinther 11,6
- 1 Timotheus 1,17
- Apostelgeschichte 4,32
- Galater 5,24
- Galater 6,17
- Hohelied 2,14
- Hohelied 2,5
- Hosea 2,16
- Joel 2,13
- Johannes 21,17
- Johannes 3,8
- Kolosser 3,9–10
- Lukas 1,69
- Matthäus 18,20
- Matthäus 9,9
- Offenbarung 21,26
- Offenbarung 21,5
- Philipper 1,23
- Philipper 2,12
- Philipper 3,20
- Psalmen 115,1
- Psalmen 119,32
- Psalmen 119,80
- Psalmen 34,2
- Psalmen 36,12
- Römer 12,4
Musicalische
Orgel= Lob= und
Ehren=Predigt,
Jn welcher
die heilige Jungfrau und Ordens=
Stiffterin
Lb PersonKlara von Assisi (1194–1253) Clara
Einer wohl=lautenden, und auf deren Ehren=Fest den
12. Augusti des Jahrs 1751. in der Hochlöblichen Le Geographicumg Gebäude: Kaysersberg, Benediktinerkloster Alspach Abtey Alspach
neu=verfertigten Ld OrgelAlspach, Johann Andreas Silbermann-Orgel 1751 Orgel verglichen und vorgestellet worden,
Von dem Music=liebenden
Reverendo Patre Lc PredigtautorHarst, Cœlestin (1698–1776) Coelestino Harst,
Priestern der uralten Le Geographicumf Ort: Ebersmünster Abtey Ebersmünster Ordini Sancti Benedicti, und
dermahligen Stadthalter zu Le Geographicumf Ort: Sigolsheim Sigolsheim.
Zur Freud und Vergnügen der Herren Organisten, Musi=
canten, Orgelmachern, und aller anwesenden Hochan=
sehnlichen Music=Ehrenden Zuhörern.
Von einem Freund der Music zum Druck befördert.
[S. [2]] [vakat]
[S. 3]
Thema.
Ly BibelstelleHohelied 2,14 Sonet vox tua in auribus meis: vox enim tua dulcis.
Cant. 2. v. 14.
Laß deine Stimme in meinen Ohren klingen: dann deine Stimme ist süß.
Sobald zwey oder mehrere zusammen kommen, da heißt es nach abgelegter Begrüßung, quid novi? Was gibts Neues? Einer erzehlt dieses, der andere jenes; ein jeder will was wissen, und höret man oft unter so vielen neuen Sachen so viele Lügen, daß einer ein ganzen geleiterten Wagen könnte darmit beladen, welche manchmal auch mit groben Sünden und schweren Ehr=Abschneidungen um und um gespickt seynd, allwo sich der leidige Teufel als ein hurtiger Fuhrmann einstellet, solche schlimme Waaren der Höllen zuzuführen. Mit solchen gefährlichen Contrebandes will ich heut nichts zu schaffen haben; sondern befrage mich nur um, quid novi? was in diesem löblichen Gotteshaus, in dieser Kirch zu dem Dienst des Allerhöchsten sich Neues befindet? Sie verübeln mir meinen Fürwiz nicht Geliebte Zuhörer dann sie wissen wohl, daß es im gemeinen Sprichwort heiße: Omnis novitas parit admirationem, die neue Sachen oft Verwunderung machen. Oft hab ich hören sagen, daß eine Gott geweihte Kloster=Jungfrau Clara nicht sobald zur ehrwürdigen Vorsteherin und gnädigen
Lb PersonHoldt, Clara Franziska (1729–1783) Frau Abtißin von der hiesigen Jungfräuli=
[S. 4]
chen Closterschaar seye erwehlt worden; so habe Sie schon ein gleichsam ganz neue Gott höchst gefällige schwesterliche Lieb und Einigkeit unter allen eingeführet, worüber sich noch heut zu Tag fast jedermann verwundert und auferbauet. Aus solcher verwunderlichen geistlichen Einigkeit hat nothwendiger Weis nichts anders können entspringen, als ein großer Eifer und Lieb für den Dienst Gottes, und Zierd der Kirchen. Sihe! da erblick ich, nebst andern ohnlängst aufgerichteten vielfältigen Kirchen=Zierden, auch neue Stühl und Bänk zur großen Bequemlichkeit des Volks, um auf und in selbigen Gott besser und länger anbeten zu können; eine neue Canzel, ab welcher das Wort Gottes allen Anwesenden möge geprediget werden; und noch eins! was dann? eine nagelneue schöne und gute Orgel; alles neu!
Ly BibelstelleOffenbarung 21,5 Ecce nova facio omnia
, heißt es Apocal. 21. Siehe ich mache alles neu. Jch lasse alle diese Neuigkeiten in ihrem Werth, und halte mich einig und allein an das neue schöne Orgelwerk, welches seine liebliche Stimme in allen Ohren lasset erschallen. Wohin gehen dann diese musicalische Orgel=Gedanken? Jch wills sagen, ich soll an heutigem Festtag ein Lob= und Ehren=Predigt halten von der Heiligen Jungfrau und Ordens=Stiffterin Clara, hab mich aber als ein Liebhaber der Orgel über das neue höchst=rühmliche
Lb PersonSilbermann, Andreas (1678–1734) Silbermännische Orgelwerk dergestalten erfreuet, daß ich geglaubet, ich werde mein aufgetragenes Amt nicht besser können verrichten, als wann ich die Heilige
Clara dieser wohl=lautenden Orgel vergleiche, dessen lieblichen Thon und Stimme der göttliche Seelengespons höchstens verlanget anzuhören, da er sie gleichsam Cant. 2. also anredet:
Ly BibelstelleHohelied 2,14 Sonet vox tua in auribus meis: vox enim tua dulcis. Laß deine Stimme in meinen Ohren klingen: dann deine Stimme ist süß.
O heilige Clara! ich bitte dich, du wollest mir von Gott Gnad erwerben, daß meine musicalische Orgel=Predigt in den Ohren der Anwesenden Zuhörer dergestalten wohlklinge, daß ihnen die Gedult und Aufmerksamkeit nicht möchte entfallen; so fahr ich fort unter deinem Schutz, und im Nahmen des Allerhöchsten.
Sonet vox tua in auribus meis: vox enim tua dulcis:
Cant. 2. v. 14.
Laß deine Stimme in meinen Ohren klingen: dann deine Stimme ist süß.
[S. 5] Jch halte mich nicht auf in Erzehlung, wie die Orgeln seyen erfunden und zur Vollkommenheit gebracht worden. Ein jeder kan auch nicht verstehen, was eine Orgel seye in ihrer Austheilung und Kunst; doch siehet und höret er, daß sie seye ein aus unterschiedlichen Materien gemachtes klingendes Pfeiffenwerk, auf welchem man allerhand Abwechslungen der Stimmen spielen kan. Eines dergleichen Werke ist diese hiesige neue und vortrefliche Silbermännische Orgel. Sie hat drey Blasbälge. Für das obere Clavier (das ist, vor diejenige Hölzlein, so man mit den Fingern schlägt) hat sie 9. Register, oder 9. gewisse Zugbretter, durch welche man bald diese, bald jene Art und Gattung pfeiffen allein, oder mehrere, oder alle zusammen kan machen klingen. Solche Register heißen also: Praestant, Bourdon, Nazard, Tierce, Doublette, Flutte, Cornet, Fourniture, Cromhorne, und das Echo. Für das Pedal, das ist: für diejenige Pfeiffen, welche man mit den Füßen spielt, sind 2. Register, nemlich Bourdon und die Trompette, für das ganze Werk zusammen seynd 2. zitternde Register oder Züg, dahero auf französisch Tremblements genannt.
Ein solches kunstreiches Orgelwerk wolte Gott der Herr an Clara in der Christ=catholischen Kirchen geistlicher Weis aufrichten, die Stadt Le Geographicumf Ort: Assisi Assis in Le Geographicumh Territorium: Umbrien Umbria war das Ort, wo dieses ist gestellt worden.
Das erste zuvorderst im Licht oder Schein stehende Register ist von englischem Zinn, und dahero Praestant genennt, das ist, vortreflich, herrlich oder ansehnlich, weilen alle andere sich nach diesem müssen rüsten und richten.
Dieses Praestat ist in Clara das vornehme und scheinbare adeliche Geschlecht, aus welcher sie gebohren, und die schöne äußerliche Leibs=Gestalt, welche von lauter englischem Zinn, ich will sagen von englischer Reinigkeit, unterhalten wurde. Dieses Register schiene äußerlich jederman wohl in die Augen, aber der göttliche Orgelmacher thate mit demselbigen, wie es oft die menschliche machen mit dem ihrigen. Ein Orgelpfeif je länger und weiter oder breiter sie ist, desto tiefer und gröber ist sie im Thon, je kürzer aber und enger sie sich befindet, je höher und kleiner oder reiner klingt sie. Wann demnach die Herren Orgelmacher solche im Licht stehende Pfeiffen wollen in ihren gebührenden höhern Thon bringen, und dannoch die äußerliche Schönheit und Länge lassen, so schneiden sie hinterwerts (wo es niemand
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siehet) die Pfeiffen auf und ab, und bringen sie also in ihren höhern erwünschten Thon. Eben also wolte Gott das scheinbahre adeliche Herkommen und äußerliche Schönheit von Clara nicht abnehmen, aber doch durch innerliche Abtödung beschneiden und abgestumpft haben; dahero, wann Clara sich äusserlich ihrem adelichen Stand gemäs muste bekleiden, war ihr aller Geschmack und Ausputz ein rechtes Creuz, und truge heimlich unter den kostbaren Kleidern allezeit ein rauhen Buß=Gürtel,
Ly BibelstelleGalater 5,24 qui autem sunt Christi, carnem suam crucifixerunt cum vitiis & concupiscentiis.
Galat. 5. mit welchem Sie Jhr Herz von aller weltlichen Lieb und Lustbarkeit stümpfte und beschnitte.
Ly BibelstelleJoel 2,13 Scindite corda vestra.
Joël. 2. Dergestalten, daß es ein nur höhern Thon gegen Gott von sich gabe.
Das zweyte Register heißet Bourdon, das ist, eine Reihe und Gattung Pfeiffen von niedergedrucktem aber lieblichem Thon. Sie sind ordinari alle mit bleyenen Kächlein gedeckt, und also der Thon gedämmt, daß er seine völlige Stärke nicht kan von sich geben, jedoch aber eben darum lieblicher singet. Jn Clara ist dieses Register von wundersamer Lieblichkeit, Jhre große Eingezogenheit, Streng= und Heiligkeit wird sowohl von den Geistlichen für ein Beyspiel, als von den Weltlichen vor ein Wunder der Tugend gerühmt und gelobt. Doch weiß sie diesen starken Thon durch eine tiefe Sanft= und Demuth niederzudrucken,
Ly BibelstellePsalmen 115,1 non nobis Domine, non nobis, sed nomini tuo da gloriam.
Psal. 113.[1]
Sie nimmt in dem Eifer und Andacht zu, daß sie sich vornimmt alles Zeitliche zu verlassen, und Gott allein zu dienen. Solches in Stand zu setzen muß dieses Bourdon Register noch gedeckt werden,
Ly Bibelstelle1 Korinther 11,6 velet caput suum.
1. Corinth. 11. Darum empfangt sie von dem Heiligen
Lb PersonFranz von Assisi (1182–1226) Francisco den Closterweyl[2]
auf Jhr Haupt, legt ab allen weiblichen Geschmuck,
Ly BibelstelleKolosser 3,9–10 expolientes vos veterem hominem cum actibus suis, & induentes novum,
ad Coloss. 3. und ziehet an das Bußkleid, umgürtet sich mit einem Strick, und macht den steif=festen Vorsatz nimmermehr von dem einmahl angetrettenen Buß=Leben abzuweichen.
Nazard ist das dritte Register, und macht aus die Quint, das ist den fünften Thon von der Hauptstimme angerechnet. Ein Wunderding! die Quint ist der Fundamental-Stimm also angebohren, daß diese ohne jene fast nimmer klinget, also höret man eine solche Quint nicht allein fast auf allen musicalischen Jnstrumenten, sondern auch an einer kleinen Glo=
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cken, wann man sie läutet, klinget allezeit eine Quint oder fünfter Thon mit, ein jeder (auch nicht Musicant) kan hievon selbst die Prob nehmen. Die Quint ist erfunden worden auf einem einsaitigen Jnstrument, dahero Monochordium genennt. Wann man diese Saite mit dem Zirkel in 3. gleiche Theile abmißet, so höret man eine reine Quint gegen der ganzen Saite oder Fundamental-Stimme. Das einsaitige Monochordium ist das unzertheilte einstimmige Herz der Claren durch die drey göttliche Tugenden der Glaub, Hofnung und Lieb abgemessen, aus welchem die reinste Quint, erste und vollkommenste Consonanz oder Uebereinstimmung mit der Fundamental-Stimm,
Ly BibelstelleMatthäus 9,9 Veni, sequere, me.
Math. 9. dem Willen Gottes entsprungen. Die eitle Welt konnte diese schöne Harmonie nicht erdulten, und wolte falsche Quinten mit einmischen, dahero als Clara den Closterweyl auf so ungemeine Weiß der höchsten Armuth empfangen, dem Dienst und Lieb Gottes sich gänzlich ergeben, entsetzte sich die ganze Stadt Assis über diesen Handel, ihre Eltern und Befreundte glaubten, es gereiche solches zur Schand der Familie, und wendeten auch so gar Gewalt an, sie aus der Kirchen heraus zu ziehen. Clara aber hielte sich mit einer Hand an den Altar, mit der andern zeigte sie ihnen das abgeschnittene Haar, sprechend: Wisset! daß ich keinen andern Bräutigam verlange als
Lb PersonJesus Christus (ca. 0 – ca. 30) Christum Jesum, und kein anders Kleid mehr tragen werde, als den Buß=Sack. Also verbliebe Clara in ihrem einmal gefaßtem Vorsatz unbeweglich, und konnte sie als die reinste Consonanz und Quint, nichts auf der ganzen Welt mit ihrem Gott in eine Dissonanz und falschen Thon bringen.
Das vierte Register ist Tierce, das ist der dritte Thon von der Fundamental-Nota: dieser entstehet, wann man die einige Sait auf dem Monochordio in fünf gleiche Theil abmisset. Diese Tierce ist in dem Herzen Clarae auch durch die 5. Wunden Christi des Herrn gleichsam in 5. schmerzhafte mitleidende Empfindungen getheilt worden,
Ly BibelstelleGalater 6,17 ego enim stigmata Domini Jesu in corpore meo porto.
Galat. 6. daß sie aus Mitleiden in ganze Zährbächlein zerflossen, die schärfeste Casteyungen ihres Leibs durch stätes Fasten, Wachen und Beten unternommen, nur damit nicht etwann, durch List des Teufels der Welt oder des Fleisches die Tierce der drey Thon oder treuherzige Lieb gegen ihrem gecreuzigten Heyland möchte unterbrochen werden.
[S. 8] Das fünfte Register Doublette, auf teutsch so viel als verdoppelt, ist die Octav oder 8te Thon von dem ersten Fundamental=Thon. Diese Octav ist in Mathematischer Abtheilung proportionis duplae oder zweyfacher Verhaltung, wann man nemlich eine Saite in 2. gleiche Theil theilet, so klingt ein jeder solcher Theil gegen der ganzen Sait oder Fundamental=Thon eine Octav, welche dahero mit jener so stark verwandt, daß wann man jene spielt sich auch die Octav bewegt und zittert. Fast auf allen Saiten=Jnstrumenten, auf einer Orgel (sonderlich in Zungenwerkern) spricht gar oft eine Pfeif in ihre Octav, daß man sie mit grosser Mühe davon treibet, auf einer Hautbois, Flöte, oder andern musicalischen Jnstrumenten, die man blasset, gibt es gewisse natürliche Thön, allwo man auch ihre Octav auf dem nemlichen Griff spielet so fern man nur den Blaß verdünnert oder verjünget und stärker antreibet. Dahero wird die Octav von vielen Herren Music-Componisten mit dem Fundament=Thon vor ein Unisonum oder nemlichen einzelen Thon geachtet. Dieses zweyfache Octaven=Register ist in Clara die zweyfache Liebe, gegen Gott und dem Nächsten, nach dem Thon der erstern bewegte sich die andere; denn niemand liebte sie anders, als allein in und wegen Gott. Kaum ist ein doppelte Octav der Zeit, das ist, zwey Wochen vorbey gegangen, daß Clara in dem Clösterlichen Kleid Gott gedienet, da wird ihre jüngere Schwester Lb PersonAgnes von Assisi (1198–1253) Agnes von ihrem heiligen Tugend=Wandel bewegt, und verlangt mir ihr ein gleiches Leben zu führen. Wie die eine, so that auch die andere. Dieses erweckte bey der Freundschaft einen noch grössern Unwillen, kamen ihrer 12. darauf für das Closter, und rissen dieses jüngere Schwesterlein mit Gewalt aus den Armen der Claren. Clara dieser Gewaltthätigkeit nicht vermögend zu widerstehen, begibt sich in das Gebet, und stellet ihre Schwester auf den Platz ganz unbweglich, solches augenscheinliche Wunder entsezte männiglich, und getrauete sich niemand ferner Gewalt anzulegen, blieben also Clara und ihre Schwester Agnes in dem Clösterlichen Leben einig und beständig. Fürwahr ein wunderschönes Doublette und Octav, oder besser zu sagen Unisonum zweyer in Gott vereinigten Schwestern.
Was solte demnach Wunder seyn wann diesem Doublette ein liebliches Flöten=Register ist beygesetzet worden? nachdem der heilige Franciscus das zerfallene
Le Geographicumg Gebäude: Assisi, San Damiano Kirchlein des heiligen Domiani wieder aufrichten lassen,
[S. 9]
und das nächste Haus daran gekaufet, hat er diese zwey liebliche Schwestern darein geführet, in welchem dann
Lm Ereignis1212: Gründung der Schwestergemeinschaft der Damianitinnen der berühmte Orden der Clarißerin seinen Anfang genommen. O Wunder über Wunder! eben zur Zeit, da die Christliche Tugend unter dem üppigen Frauenzimmer durch Hoffart und Wollust des Fleisches angefangen zu verwelken, hat Clara mit ihrer Schwester Agnes wieder erweckt die alte Bußfertigkeit, die Unschuld und Heiligkeit, absonderlich die schier zu grundgehende kostbare Tugend der Jungfrauschaft. Es heisset sonst die Einträchtigkeit der Geschwister seye rar; aber unter diesen 2. Schwestern ist alles auf einen Thon, nichts ist allda falsch und übel lautend, dann der himmlische Capellmeister giebt allda selbst den Tact, laut seiner selbst eigenen Bekanntnuß Math. 18.
Ly BibelstelleMatthäus 18,20 Ubi sunt duo vel tres congregati in nomine meo, ibi sum in medio eorum: Wo zwey oder drey versammlet sind in meinem Namen, daselbst bin ich mitten unter ihnen.
Wer will mir jetzund mit wenig erklären, wie lieblich diese jungfräuliche Turteltäublein in den Felß=Klippen ihrer geistlichen Einsamkeit geseufzet? Wie angenehm sie als zwey wohlzusammengestimmte Flötlein jenes überaus schöne, auf Davidischer Harpfe schon längsten componirte und approbirte Stücklein ihrem göttlichen Seelengespons oft werden aufgeflötet haben?
Ly BibelstellePsalmen 119,80 Fiat cor meum immaculatum in justificationibus tuis, ut non confundar.
Psal 118.[3]
Laß unser Herz unbefleckt werden in deinen Satzungen, durch deine göttliche Liebe, auf daß wir nicht zu Schanden werden, durch die Boßheit der Weltkitzlichkeit des Fleisches und Betrug des Teufels. So leise auch immer dieses Flöten=Register in der stillen Clösterlichen Einsamkeit von diesen zwey keuschen Herzen ist gespielt worden, so hat es doch in die Weite vieler Ohren und Herzen durchdrungen, und angezogen. Dann sihe! o Wundersach!
Lb PersonOrtolana (vor 1192 – vor 1238) Hortula die Mutter der Claren, welche zuvor selbsten falsche Accorde dem lieblichen Tugend=Klang ihrer zwey Kinder hier und dort hat wollen helfen unterstreuen, wird jetzund von dero süßen Harmonie ganz eingenommen, laßt alles im Stich, kommt mit ihrem allerjüngsten Töchterlein
Lb PersonBeatrix von Assisi (fl. 1200) Beatrix, samt andern 12. jungen Fräulein, untergiebt sich der geistlichen Zucht, und erkennet ihr eigenes Kind als ihr geistliche Mutter und Vorsteherin. Jetzund! ach jetzund! was höre ich vor ein herrliches Cornet-Register klingen!
[S. 10]
Das Cornet ist nichts anders als eine Versammlung aller schon gemeldten Registern; ist aber der gemeinen Windladen in der Höhe besonders gesezt, hat nur ein Discant oder reine Stimm ohne Bass oder männliche tiefe Stimme. Also diese neue versammlete Closterschaar stimmet mit allen schon angezogenen Tugenden Clarae völlig ein,
Ly BibelstelleApostelgeschichte 4,32 erat cor unum & anima una.
Act. 4. als nur ein einziges wohllautendes Cornet-Register. Jhr Herz ist von allen tief=männlichen Baßstimmen und Beywohn über die ordinari Windlad aller weltlichen nur Windmachenden Sinnen und Gedanken, gegen Gott allein erhöhet. Cornet Französisch, heist auch auf teutsch ein Fähndrich, welcher den Fahnen allem Volk in der Höhe zeigt und vortragt, damit ihn alle sehen und nachfolgen mögen. Dieses Clarisische Cornet ist gleichsam als ein Fahnen unter der ersten Compagnie des Clarisischen Ordens aufgesteckt worden in der Höhe:
Ly BibelstellePhilipper 3,20 nostra autem conversatio in coelis est.
Philip. 3. Diesen haben in viele und entlegene Länder ersehen, unter selben sich versamlet und geschworen so viele Jungfrauen, daß anjetzo bey 4000. Clöster, und 100000. Closterfrauen als ein zahlreiches Siegsheer darinnen gezehlt werden.
Fourniture ist das achte Register, heisset so viel als Assortiment Ausstaffirung, oder Supplément eine gänzliche Erfüllung eines Dings. Durch alle vier Octaven sind die nemlichen Pfeiffen wiederholet, und dienen das ganze Orgelwerk zu verstärken und ansehnlich zu machen. Die unter der Regierung Clarae versammlete Closter=Frauen stehen in dem geistlichen Orgelwerk durch die abgelegten Ordens=Gelübden anjetzo in schönster Ordnung, dienen alle und jede zu Erfüllung des von Clara neu=angesetzten Ordens=Stands:
Ly BibelstelleRömer 12,4 in uno corpore multa membra habemus.
Rom. 12. alle und jede wiederholen gleichsam durch alle Zeiten den nemlichen einmal gemachten steifen Vorsatz Gott beständig zu lieben und zu bedienen, mit
Lb PersonDavid (fl. 1000 v. Chr.) David singend:
Ly BibelstellePsalmen 34,2 benedicam Dominum in omni tempore, semper laus ejus in ore meo.
Psalm. 33.[4]
Jch will den Herrn preisen zu aller Zeit: sein Lob soll immerdar in meinem Munde seyn.
Nun kommet hinzu die Ausstaffirung dieses heiligen Werks, durch die Confirmation Bestätigung oder Gutheissung, welche geschehen von Pabst
Lb PersonInnozenz III. (1160–1216) Innocentio III. Anno 1212. und gleich hernach von dessen Nachfolger
Lb PersonHonorius III. (1150–1227) Honorio III.
[S. 11]
Das neunte Register heisset Cromhorne, und ist ein langes Rohr mit einem messingenen Zünglein (darum nennet man es auch ein Zungenwerk) und klinget dieses Zünglein durch das Rohr gleichsam als durch ein Redhorn in den Ohren der Zuhörer wunderschön. Jn Clara ist dieses Zungenwerk überaus lieblich. Jch stehe jedoch an, ob ich Claram anstatt eines Cromhorns nicht vielmehr solte betitlen Cornu Copiae, ein Horn der Menge und alles Ueberflusses, in welchem alle Tugenden beysammen. O wie gerne wolte ich alle anführen! weilen ich aber in die Kürze der Zeit eingeschränkt, so vergnüge ich mich allein mit dem, daß ich könne sagen:
Ly BibelstelleLukas 1,69 Erexit cornu salutis nobis.
Luc. W W ErratumOriginal: 2.
1. Gott hat uns ein Horn des Heyls aufgerichtet
in der ganzen Catholischen Kirch. Redet anstatt meiner (weilen ich doch nicht der Zeit hab) ihr Schriften und Jahrbücher des Heiligen Clarisser=Ordens! Erzehlet! wie vielen dieses liebliche Zungenwerk die Heilige Clara ist gewesen Cornu Salutis ein Ursach und Horn des Heyls, welche sonsten von dem gefährlichen Gesang der falschen Welt=Sirenen wären eingeschläfert, oder von der vergiften höllischen Schlangenzung gebissen, und ewig verlohren gangen.
Das Echo gehört auch noch in die Orgel, dieses stellet vor einen Wiederschall. Der Wiederschall aber klingt nicht besser als im Wald. Gott will das Echo der frommen Clarae auch noch vernehmen, führet sie darum in die stille clösterliche Einsamkeit:
Ly BibelstelleHosea 2,16 ducam eam in solitudinem, & loquar ad cor ejus.
Os. 2.[5]
und redet zu ihrem Herzen
, aber was? mich bedunkt nur mit unverändertem Rahmen jene Wort, mit welchem er einstens Petrum Joh. 21. zum dritten Mal hat angeredet: Clara
Ly BibelstelleJohannes 21,17 amas me? Clara liebst du mich?
Clara giebt geschwind Antwort:
Ly BibelstelleJohannes 21,17 Domine tu scis, quia amo te. Herr du weist daß ich von Herzen liebe dich,
und zwar dergestalten
Ly BibelstelleHohelied 2,5 amore lanquens.
Cant. 2 daß ich vor deiner Lieb ganz schwach bin, darum
Ly BibelstellePhilipper 1,23 Desiderium habens dissolvi, & esse cum Christo.
Philip. 1. verlange ich aufgelößt zu werden, und mit dir meinem einzig Geliebten ewiglich zu seyn. Das heißt mir fürwahr ein überaus schönes Liebs=Echo in Clara!
[S. 12]
Jetzund kommen wir zu den Pedal-Registern, das ist, zu denjenigen, welche man mit Füssen tritt und spielet, nemlich zu der Trompette und Bourdon. Das Pedal der Clara war herrlich. Von diesem Pedal-Wesen oder Füssen kan sie mit dem Heiligen David billig sagen:
Ly BibelstellePsalmen 119,32 viam mandatorum tuorum cucurri.
Psal. 118.[6]
ich hab den Weg deiner Gebotten und Evangelischen Räthen gelaufen. Dann obwohlen sie wider ihren Willen zur Abtißin gesetzt worden, so gienge sie jedoch selbsten in die Tafelstuben und Krankenzimmer, ja in alle Winkel des Closters, um alldorten die schlechteste mägdliche Dienst zu vertretten; dieses ist das niedrige Bourdon, das hellschreyende Trompetten-Register, welches sie nur gebraucht, mit Aufopferung aller Schritt und Tritt, die Ehr und Glory zu vergrößern, hat sie jederzeit gesucht von dem unveränderlichen Wetter der eitlen Ehr unverstimmet zu erhalten, Gott mit David inständigst bittend:
Ly BibelstellePsalmen 36,12 non veniat mihi pes superbiae.
Psalm. 35.[7]
Laß den Fuß der Hoffart zu mir nicht kommen.
O wie ein herrliches Pedal!
Jn der Orgel seynd noch zwey Züge, welche den Orgel=Thon ganz zitternd machen, und deßwegen Tremblements genannt werden. Der eine ist der starke, welcher geschwind zitert, dann er von einem hölzernen in der Mitten mit Bley beschwertem Deckel gemacht ist, und den Wind stark unterbricht. Dieser starke Tremblement lage gleichsam als ein schweres Stück Bley auf dem Herzen Clarae, und unterbrache ihr vor Forcht und Zittern fast den Athem, als Sie gehört daß die wilden Saracenen in der Lm Ereignis1240: Belagerung von Assisi durch die Sarazenen Belagerung der Stadt Asis, ihr nächst an der Stadtmauer gelegenes Clösterlein wolten würklich besteigen, da warfe sich Clara voll des Vertrauens auf Gott, vor dem heiligsten Sacrament des Altars nieder, bathe um Erhaltung ihres Closters, und hörte alsobald eine göttliche Stimme: Jch will euch beschützen. Jn selbigem Augenblick wurden die Feind mit einem noch stärkern Tremblement und Schrecken überfallen, daß sie über die Leitern hinunter gestürzet, die Flucht genommen und die Belagerung aufgehebt haben. Hat demnach dieser starke Tremblement auf der Orgel Clarae dem plein jeu oder ganzen Spiel ein herrlichen Ausschlag gegeben.
[S. 13]
Der andere Tremblement ist an einem Drat angehenkt, gehet ganz mäßig und still, und ist in Clara gewesen die an die steife Hoffnung angehenkte heilsame Forcht Gottes nach Rath des Heiligen Pauli Phil. 2.
Ly BibelstellePhilipper 2,12 Cum metu & tremore vestram salutem operamini. Würket eure Seligkeit mit Forcht und Zittern.
Also hat sie gethan, als kurz vor ihrem End Pabst
Lb PersonInnozenz IV. (1195–1254) Innocentius der IV. mit vielen Cardinälen sie besucht, bathe sie ganz demüthig, um Nachlassung ihrer Sünden mit solcher Reumüthigkeit und vielen Zähren als wäre sie die größte Sünderin. Dieser stille Tremblement hat in den Ohren und Herzen aller Anwesenden eine solche Würkung gethan, daß sie sich daran höchstens verwundert und auferbauert haben.
Jetzund stehet das ganze geistliche Clarißische Orgelwerk, der Wind dazu ist die Gnade des heiligen Geistes vermög jener Wort Joan. 3.
Ly BibelstelleJohannes 3,8 Spiritus ubi vult, spirat. Der Geist blaßt wo er will.
Die drey Blaßbälge durch welche dieser Wind in das ganze Werk getrieben wird, seynd die drey Ordens=Gelübde. Nun ist es noch einzig um die reine Stimmung zu thun. Jn der Music sind sieben Haupt=Thöne: Ut, re, mi, fa, sol, la, si, oder C, D, E, F, G, A, H, welche nach Meynung vieler Philosophen oder Weltweisen von den sieben wohl zusammen klingenden Planeten ihren Klang entlehnet; nebst diesen gibt es noch fünf halbe oder Zwischen=Thöne, und bekommen den Nahmen von ihren Haupt=Thönen, als wie der halbe oder Zwischen=Thon von C, cis, von B, bis [sic], und so weiter. Diese fünf Zwischen=Thöne mit den sieben Haupt=Thönen machen zwölf zusammen: alle diese zwölf müssen auf der Orgel durch ihre erforderliche zwölf Quinten gestimmet werden. Nun ist unter denen Herren Musicanten und Orgelmachern schon ein ewiges Gezänk, ob dieses durch alle zwölf Quinten könne rein geschehen, sie sagen Nein dazu, und erweisen dessen Ohnmöglichkeit clar aus dem Zirkel. Sie sagen alle was sie wollen; so behaupte ich doch von unserer Clarisischen Orgel das Widerspiel. Die sieben Haupt=Thöne in Clara waren die sieben Gaben des heiligen Geistes; die fünf halbe Zwischen=Thöne ihre fünf menschliche gebrechliche Sinn, diese nach jenen durch alle zwölf Quinten (verstehet) durch alle zwölf Stunden so wohl bey Tag als bey Nacht allezeit rein zu stimmen hat manchen Seufzer, manches Fasten, Wachen und Abtödung gekostet. Endlich aber so wohl ge=
[S. 14]
rathen; daß alles in Jhr pur und rein gestimmt gewesen. Noch auf dieser Welt ehe und bevor sie in Himmel ist eingelassen worden, sintemahlen Apocal. 21.
Ly BibelstelleOffenbarung 21,26 Non intrabit in eam aliquod inquinatum.
[8]
Es wird zu ihr
(nemlich in die himmlische Stadt) nichts hinein gehen, das befleckt seye,
und mit dem göttlichen Thon nicht rein gestimmet.
Jetzund o heilige Clara! ist dein ganzes geistliches Orgelwerk in größter und reinster Vollkommenheit,
Ly BibelstelleHohelied 2,14 Sonet vox tua in auribus meis vox enim tua dulcis.
Cant. 2. Darum laß deine Stimme in den Ohren Gottes ewiglich klingen, dann deine Stimme ist süß. Lobe und preise ihn auch in unserm Nahmen, damit er unsere übel=lautende und falsche Quinten die wir zuweilen auf dieser sündigen Welt ergreifen, gütlich möchte entschuldigen und nachsehen. Wir versprechen ihm und dir, daß wir ferners nicht mehr die vorige alte Leyren unsers sündigen Lebens wollen ergreiffen, sondern uns nach dem lieblichen Thon und Stimmung des neu=aufgesetzten geistlichen Orgelwerks allezeit richten. Dieses Versprechens wollen wir uns erinnern, so oft und vielmal wir das gegenwärtige materialische vortrefliche Silbermännische Orgelwerk mit Freuden werden anhören, und dabey gedenken jene Wort: 1. Timoth. 1.
Ly Bibelstelle1 Timotheus 1,17 Regi saeculorum immortali, invisibili, soli Deo, honor & gloria in saecula saeculorum, Amen. Dem König der Ewigkeit, dem unsterblichen, unsichtbaren, einigen Gott, sey Ehr und Preis in alle Ewigkeit, Amen.
Einzelanmerkungen
- Vers 9 des 113. Psalms in der Zählung Vulgata entspricht Vers 1 115. Psalm in der Ausgabe der Lutherbibel von 1545. Wenngleich Harst als Katholik natürlich auf die für ihn maßgebliche lateinische Bibel zurückgegriffen hat, wird im Sinne der Datenbankkonsistenz nach der Zählung der Lutherbibel verlinkt.
- Gemeint ist der
Klosterschleier
, eingedeutscht aus lat.velum
oder franz.voile
. - Vulgata: Ps 118,80; Luther (1545): Ps 119,80.
- Vulgata: Ps 33,2; Luther (1545): Ps 34,2.
- Vulgata: Hos 2,14; Luther (1545): Hos 2,16.
- Vulgata: Ps 118,32; Luther (1545): Ps 119-32.
- Vulgata: Ps 35,12; Luther (1545): Ps 36,12.
- Vulgata: Offb 21,27; Luther (1545): Offb 21,26.
Letzte Änderung dieses Dokuments am 24. März 2021.
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