Icon

Orgelpredigt

Start → Register → Predigten → E000074: Glaubiger Kinder Gottes Gott=gefällige Music (Augsburg 1721)

a Glaubiger Kinder Gottes Gott=gefällige Music (Augsburg 1721)

Einführung in die Edition

Historischer Kontext

Am 26. Oktober 1721 wurde die neue Ld OrgelAugsburg, St. Ulrichs-Kirche, Johann Christoph Leo-Orgel 1721 Orgel in der evangelischen Le Geographicumg Gebäude: Augsburg, St. Ulrich St. Ulrichs-Kirche in Le Geographicumf Ort: Augsburg Augsburg eingeweiht. Noch im Jahr der Orgeleinweihung erschien die dazu gehörige Predigt im Druck. Exemplare dieses Werks konnten zunächst nicht ermittelt werden, obwohl es bibliographisch gut dokumentiert ist. Im Lebenslauf, den der Rektor des Gymnasiums Lb PersonCroph, Philipp Jakob (1666–1742) Philipp Jakob Croph als Beigabe zu der von Lb PersonUrlsperger, Samuel (1685–1772) Samuel Urlsperger gehaltenen Lr QuellenUrlsperger, Leichenpredigt Weidner (1736) M Leichpredigt auf den Autor, den verstorbenen Pfarrer Lc PredigtautorWeidner, Johannes (1671–1735) Weidner verfasst hatte, schloss sich an die biographische Skizze ein Schriftenverzeichnis an, in dem an dritter Stelle die Orgelpredigt aufgeführt wird. Die Verfasser erhoben den Anspruch, die Werke nach derselben vollständigen Titulen[1] aufgenommen zu haben:

Glaubiger Kinder Gottes | Gott=gefällige Music, | Als | die fast ganz neu erbaute Orgel | in der Evangelischen Kirchen zu St. Ulrich in Augspurg | Bey ungemein Volck=reicher Versammlung und in Gegenwart der Hoch=|löblichen Herren Stadt= Pflegers und Geheimbden Räthen, auch sämmtlicher | der Augspurgischen Confession zugethanen Herren Ober= Kirchen=|Pflegern und Adjuncten, | Anno 1721. am XX. Sonntag nach Trinitatis offentlich eingeweyhet wurde, | Nachmittag über die gewöhnliche Epistel aus Eph. V, 15. sqq. vorgestellet, und auf | Verlangen einiger Freunde in Druck gegeben | von | Johannes Weidner/ | Evangelischen Pfarrer zu St. Ulrich. | in Quarto.[2]

Dies entspricht genau den Angaben auf dem Titelblatt des Exemplars, das Anfang 2022 im Stadtarchiv Augsburg entdeckt wurde.[3]

Der Bau der fast ganz neuen Orgel, die sich die Gemeinde 1721 geleistet hatte, scheint in der stadt- und orgelhistorischen Forschung nur wenig Beachtung gefunden zu haben. Es handelte sich um die erste Orgel, die der aus Augsburg gebürtige Lb PersonLeo, Johann Christoph (1675–1749) Johann Christoph Leo für seine Heimatstadt schuf. Sie diente ihm als Arbeitsprobe, auf die er sich bei seinem Antrag auf Anstellung als städtischer Orgelmacher evangelischerseits berufen konnte – ein Ansinnen, das allerdings nicht auf Entgegenkommen stieß.[4] Die von Hermann Meyer ausgewerteten Quellen gewähren einen kleinen Blick auf die komplizierte Ausgangslage für den Orgelbau in der konfessionell geteilten Reichsstadt, wo der Rat Rechte und Erwartungen der katholischen und evangelischen Kirche zu berücksichtigen hatte.[5] Dieser konfessionelle Kontext bildete zweifellos auch den Hintergrund für die hier vorzustellende Orgelpredigt. In welcher Weise der 1719 zum Pfarrer von St. Ulrich aufgerückte Lc PredigtautorWeidner, Johannes (1671–1735) Johannes Weidner mit dem Orgelbau zur Profilierung der evangelischen Seite beizutragen versuchte, lässt sich ohne Einsichtnahme in die Kirchenarchive jedoch nicht abschätzen. Dass die Kirchenmusikgeschichte Augsburgs für die Erforschung von Orgelpredigten noch Entdeckungen bieten könnte, zeigt im übrigen auch der Orgelstreit, der hier zu Beginn des 17. Jahrhunderts ausgetragen worden war und der bisher nur im Ansatz bekannt ist.[6]

Zum theologischen Kontext

Deutlich ist, dass Weidner in der Orgelpredigt an seine früheren theologischen Schriften anknüpfte. Die Formulierung des Titels orientierte sich an seinen vorhergehenden Publikationen: Mit den Worten Glaubiger Kinder Gottes hatte er auch 1713/14 seine Lr QuellenWeidner, Glaubiger Kinder Gottes Creutz=Schul (1714) M Glaubiger Kinder Gottes Creutz=Schul bezeichnet, was auf die persönliche Bedeutung verweist, die Weidner der praxis pietatis beimaß. Die vierzig Betrachtungen für jeden Tag der österlichen Fastenzeit hatte er infolge eines Gelübdes während einer schweren Erkrankung verfasst und mit einem Vorwort von höchster Emotionalität eingeleitet.[7] Den vierzig Passionsandachten ließ er 1717 in separatem Druck vierzig inhaltlich korrespondierende Lieder folgen, die er selbst gedichtet hatte. Auch sie trugen als Kennmarke den Titel Lr QuellenWeidner, Glaubiger Kinder Gottes Creutz=Erhöhung (1717) M Glaubiger Kinder Gottes Creutz=Erhöhung. In der Vorrede schrieb er bescheiden: Es sind aber nur Lieder/ und demnach nicht von prächtigen Worten/ sondern in Einfältigkeit des Geistes/ und in hertzlicher Andacht gegen den gecreutzigten Welt=Heyland verfasset. Bitte deßhalben/ dise Gott geheiligte Arbeit in der masse/ wie sie gemeinet ist/ zu Christlicher Erbauung aufzunehmen.[8] In die zweite Auflage der Kreuz-Schule gingen diese Lieder mit ein, die nun neben den Kupferstichen eine weitere lyrisch-musikalische Dimension künstlerischer Leidensbewältigung boten. Nicht ganz klar ist, wie man dieses wichtige theologisch-künstlerische Werk in Einklang bringen kann mit der Einstufung Weidners als eines entschiedenen Verfechters orthodox-lutherischer Auffassungen, der sich dem Vordringen pietistischer Strömungen in Augsburg in den Weg stellte.[9] Dies ist sicher ein Aspekt, der in der einen oder anderen Weise auch in Weidners Orgelpredigt und seinem Verhältnis zur Frage der Musik im Gottesdienst Spuren hinterlassen hat.

Aus der Forschungsliteratur lässt sich ebenfalls entnehmen, wie groß Weidners Anteil an den kirchlichen Feierlichkeiten war, die 1730 zum 200-jährigen Jubiläum des Augsburgischen Bekenntnisses veranstaltet wurden.[10] Weidner verfasste hierzu eine repräsentative Lr QuellenWeidner, Ehre und Lehre der Augspurgischen Confession (1732) M Festschrift, in der die Geschichte und der Inhalt der Confessio Augustana in klarer Weise dargestellt wurden.[11] Auch hierzu gibt es einen spannungsgeladenen konfessionellen Hintergrund: Für die Stimmungslage in der Reichsstadt scheinen die polemischen Schriften charakteristisch gewesen zu sein, die von den Jesuiten aus Anlass dieser die protestantische Tradition beschwörenden Festlichkeiten veröffentlicht wurden.[12]

Insgesamt agierte der Orgelpredigtautor in einer Zeit des Orientierungsverlusts, als Glaubensgewissheiten neu vermittelt werden mussten. Weidners erste große Lr QuellenWeidner, Uebung in der Gottseligkeit (1709) M Predigtsammlung führt vor Augen, wie ernst er seine Berufung nahm und wie bemüht er war, seine Gemeinde in einer dem Glauben keineswegs mehr zugewandten Zeit anzusprechen. In der Vorrede erklärte er, dass der Leser in dem Buch keine Gelehrsamkeit/ keine sinnreiche Erfindungen/ keine prächtige Reden in Menschlicher Weisheit und nach den Reguln der Kunst eingerichtete Wolredenheit/ deren ich keines besitze, suchen solle, sondern eine einfältige Anweisung zur Gottseeligkeit[13] Die Zeitgenossen haben Weidners Bildung und Persönlichkeit mit hohem Lob bedacht, wobei insbesondere seine Fähigkeit zu reden und zu schreiben hervorgehoben wird:

So beliebt und erbaulich dieser geistreiche Lehrer im mündlichen Vortrage gewesen, eben so annehmlich, rührend und erweckend wußte er sich auch in Schriften auszudrücken, welche beyde Gaben nicht allemal bey einem Manne vereinigt anzutreffen sind. Man hörte ihn eben so gerne, als man ihn laß, und man fande sich allemal unterrichtet, ermahnet, erwecket und getröstet.[14]

Rezeption als katechetisches Material

Der Unterricht, die Hinwendung zur religiösen Formung von Kindern, hat Weidner offenbar beschäftigt. Eine solche katechetische Arbeit scheint auch generell im Augsburg seiner Zeit ein zentrales Anliegen gewesen zu sein, das durch die Feier der Confessio Augustana 1730 besonders in den Vordergrund trat.[15] Dies beleuchtet die ungewöhnliche Rezeption der Predigt. Noch zu Lebzeiten Weidners erschien ebenfalls als Beitrag zum großen Augsburger Jubiläum eine Publikation, die ausgiebig aus der Orgelpredigt schöpfte. Im Rahmen eines katechetischen Lr QuellenStrohmeyer, Jubel- Religions- und Augen-Lust (1730) M Lehrbuchs, das für die Schüler am Augsburger Gymnasium konzipiert war, handelte der Rektor dieser Bildungsanstalt, Lb PersonStrohmeyer, Johann Jacob (vor 1729 – nach 1740) Johann Jacob Strohmeyer, auch die Frage des richtigen christlichen Gebrauchs von gottesdienstlicher Musik ab. Als anschauliches Lehrmaterial verwendete er Weidners Orgelpredigt,[16] die einen deutlichen Bezug zu Augsburg besaß, so dass die Schüler mit der damals eingeweihten Orgel oder dem erwähnten Lb PersonKräuter, Philipp David (1690–1741) Director musices konkrete Vorstellungen verbinden konnten. Mit 56 Fragen und Antworten umriß er einen festen Bestand an Kernaussagen, wie sie in fast allen protestantischen Orgelpredigten begegnen, und brachte diese in die Form eines abfragbaren Lernstoffs. Über die Art der Stoffpräsentation und die Zielgruppe – Kinder im Alter zwischen sechs und sechzehn Jahren – informiert der Autor zu Beginn und am Ende seines Buchs. Solange die Druckausgabe von Weidners Predigt nicht verfügbar war, stellte diese Darstellung die umfassendste Information über den Inhalt und die Struktur der Kanzelrede dar. Dabei war sie thematisch auf zwei Bereiche begrenzt: Zum einen übermittelte Strohmeyer die wichtigsten Topoi der protestantischen Orgelhistoriographie, die sogar noch in seiner Nachschrift als nahezu wörtliche Zitate der La OrgelpredigtVlmische Orgel Predigt (Ulm 1624) M Vlmischen Orgel Predigt erkennbar sind. Zum anderen referierte er ausführlich die allegorischen Ausdeutungen der Orgel und ihrer Bauteile. Diese Inhalte lassen sich dem Exordium der Predigt und dem ersten Abschnitt über instrumentale Musik zuordnen. Weitgehend ausgeblendet bleiben jedoch der zweite Teil über die Vokalmusik und der dritte Teil, der der musica cordialis gewidmet ist.

Zur Rezeption im 19. Jahrhundert

Im Nachdruck von Weidners Lebenslauf erfährt man, dass dieses seeligen Mannes Schriften nicht allen und jeden bekannt worden, einige aber zu dieser Zeit gar nicht mehr zu bekommen sind.[17] Dennoch war das Werk auch im 19. Jahrhundert in Augsburg noch anzutreffen. Lb PersonWagenseil, Christian Jakob (1756–1839) Christian Jakob Wagenseil berichtete in seiner Geschichte der Stadt Augsburg ausführlich über diesen Text, aus dem auch er weite Passagen zitierte – allerdings nun in einer ganz anderen ironisch-distanzierten Haltung:

Im Jahr 1721 wurde in der evangelischen Kirche zu St. Ulrich eine neue Orgel hergestellt. Der Leser erlaube, als eine Probe des damaligen Geschmacks aus der bey Gelegenheit der ersten Eröffnung derselben von dem Pfarrer Weidner gehaltenen Festpredigt *) etwas weniges auszuziehen und freue sich mit uns, daß wir diese und ähnliche Spielereyen nun nicht mehr anhören dürfen. La OrgelpredigtGlaubiger Kinder Gottes Gott=gefällige Music (Augsburg 1721) M Glaubige Kinder Gottes – sagt der Redner – sind geistlicher Weise lebendige Orgelwerke. Wer aber ein geistliches Orgelwerk vor Gott werden will, muß gewissermaßen einem leiblichen Orgelwerk gleich werden. Der Orgelkasten, der zwar von vielem Gold schimmert, aber nur von Holz ist, ist das Bild unsers Leibes und desselben Nichtigkeit. – Das Orgelwerk ist ein Bild unsrer Seele. Denn wie in einer Orgel alles in seiner gehörigen Ordnung steht und gleichsam lebt, wo es in seine Aktivität gesezt wird, also auch unsere Seele und Gemüth u. s. w. – Unser Orgelwerk hat zwey ungemein große Blasbälge, vermittelst welcher der Wind in dasselbe geführt wird. So geht die Stimme Gottes an unser Herz etc. – Gleichwie aber ohne den Wind keine Orgel lauten kann, so gedenke ich bey dem Orgelwind an den heiligen Geist, welcher als verborgener, doch mächtiger Wind, einblaset und eindringet in das Herz des Menschen. etc. – Der Wind an einer Orgel geht durch verschiedene Kanäle, solche Kanäle deuten wir auf unsere Augen und Ohren. etc. Der Windkasten, in welchem sich zuerst der Wind bey einer Orgel sammelt, erinnert mich unsers Verstandes, der vor allen Dingen erleuchtet seyn und erkennen muß. etc. Die Wind=Lade bildet mir vor den Willen des menschlichen Herzens, der Christum und seine Gnade annimmt, wenn der Verstand es erkannt hat. – Die Ventile, durch welche der Wind aus der Wind=Lade in die Pfeiffen dringt, bedeuten mir die Begierde des nach Gott verlangenden Glaubens, die eisernen Register=Züge hingegen deuten uns die Sünde. Denn gleichwie durch die Reigster=Züge das Orgelwerk so lange zu lauten gehindert wird, bis sie aufgezogen oder weggerückt werden, so ist auch die Sünde ein Haupt=Hinderniß, das uns von Gott scheidet. – Die sämmtlichen Pfeifen bilden das ganze Christenthum, worinn wir aus allen Kräften Leibes und der Seele arbeiten. etc. Und so wollen wir denn miteinander betrachten. Musicam Christianorum, oder die von Paulo denen Christen angerühmte Musick. Ermuntre, uns, o Gott, durch deines Geistes Stärke, so werden wir im Geist lebhafte Orgelwerke.

In solchem Ton geht diese Predigt von Anfang bis zum Ende fort, und stimmt mit dem geistlichen Sack=Uehrlein recht passend zusammen, obwohl jenes zwölf Jahre früher, als diese, gedruckt erschienen ist.[18]

In der mit einem Asterisk bezeichneten Fußnote verwies Wagenseil auf die Druckausgabe, aus der er zitiert hatte: Gedrukt in 4to. bey J. J. Lotter.[19] Damit erfahren wir hier auch den Namen des bekannten Augsburger Lb PersonLotter, Johann Jakob (ca. 1683 – 1738) Druckers, der das Werk herausgegeben hatte. Offenkundig ist dieses Exzerpt sprachlich modernisiert und verändert worden. Dass die Inhalte dennoch recht genau übernommen wurden, zeigt der Vergleich mit den Informationen aus Strohmeyers katechetischem Lehrbuch. Bedauerlich ist nur, dass auch hier die Orgelallegorie im Vordergrund steht, so dass die weiteren Teile der Kanzelrede im Dunkeln bleiben.

Wenig später begegnet die Orgelpredigt schließlich ein weiteres Mal in Lb PersonVolbeding, Johannes Ernst (1791–1864) Johann Ernst Volbedings Homiletiklehrbuch. Erneut wird Weidners Text als Kuriosum zitiert, als Beispiel für ein historisches überwundenes Stadium des Genres der Orgelpredigt, zu welchem Volbeding auch mehrere zeitgenössische Predigten anführt. Da das Lehrbuch nur schwer zugänglich ist, sei die Textstelle hier vollständig aufgeführt:

Als Curiosität sey noch eine ältere Orgelpredigt erwähnt, welche im Jahre 1721 der Pfarrer Weidner in Augsburg bei Einweihung der neuen Orgel in der St. Ulrichskirche daselbst hielt. Jm Eingange sagte dieser Redner Folgendes:

Gläubige Kinder Gottes sind gleichsam, geistlicher Weise verstanden, lebendige Orgelwerke. Wer aber ein geistliches Orgelwerk vor Gott werden will, muß gleichermaaßen einem leiblichen Orgelwerk gleich seyn. Der Orgelkasten, der zwar von vielem Golde schimmert, aber nur von Holz ist, ist das Bild unseres Leibes und dessen Nichtigkeit. Das Orgelwerk ist ein Bild unserer Seele; denn wie in einer Orgel alles in seiner gehörigen Ordnung steht und gleichsam lebt, wo es in Aktivität gesetzt wird, also auch unsere Seele und Gemüth.

Unser Orgelwerk hat zwei ungemein große Blasbälge, vermittelst welcher der Wind in dieselben geführet wird. So geht auch die Stimme Gottes in unser Herz. Gleichwie aber ohne den Wind keine Orgel lauten kann, so gedenke ich bey dem Orgelwind an den heiligen Geist, welcher als verborgener, aber mächtiger Wind einbläset und eindringt in das menschliche Herz.

Der Wind an einer Orgel geht durch verschiedene Kanäle; solche Kanäle deuten wir auf unsere Augen und Ohren.

Der Windkasten in welchem sich zuerst der Wind bei einer Orgel sammelt, erinnert mich unsers Verstandes, der vor allen Dingen erleuchtet seyn und erkennen muß. Die Windlade bildet mir vor den Willen des menschlichen Herzens, der Christum und seine Gnade annimmt, wenn der Verstand es erkannt hat. Die Ventile, durch welche der Wind aus der Windlade in die Pfeifen dringt, bedeuten mir die Begierde des nach Gott verlangenden Glaubens; die eisernen Register=Züge hingegen die Sünde. Denn gleichwie durch die Registerzüge das Orgelwerk so lange gehindert wird, bis sie ausgezogen oder weggerückt werden: so ist auch die Sünde ein Hinderniß, das uns von Gott scheidet. Die sämmtlichen Pfeifen bilden das ganze Christenthum, worin wir aus allen Kräften des Leibes und der Seele arbeiten. Und so wollen wir denn mit einander betrachten: Musicam christianam oder die von dem Apostel Paulus den Christen angerühmte Musik.

Ermuntre uns, o Gott! durch deines Geistes Stärke
So werden wir im Geist leibhafte Orgelwerke.[20]

Abgesehen von minimalen Varianten stellt das Exzerpt ein genaues Zitat aus Wagenseils Stadtgeschichte dar, so dass auch diese Quelle keine neuen Anhaltspunkte zum Inhalt der Orgelpredigt bietet. Dass Weidners Predigt zu diesem Zeitpunkt nur noch als Kuriosität erschien, unterstrich auch ein Rezensent von Volbedings Homiletikbuch:

Orgelpredigten führt der Verf. aus einer großen Anzahl ihm vorliegender nur diejenigen an, welche allgemeineres Inhaltes sind und nicht, wie die meisten, ganz ins Locale und Specielle eingehen; sie sind von Oschatz, Krehl, Poyda, Böckel, Strohbach, Pfeil und Krause. – In Übereinstimmung mit dem bei Anzeige des ersten Heftes von uns geäußerten Wunsche hat der Verf. im zweiten Hefte nicht blos die Dispositionen nebeneinandergestellt, sondern sowohl eine kurze vergleichende Kritik, als auch aus der Mehrzahl der Predigten Bruchstücke hinzugefügt. Die Kritik hätte wohl etwas umfassender sein, und namentlich mehr auf den ganzen Gedankengang der Ausführung eingehen können; die mitgetheilten Auszüge größerer zusammenhängender Stellen aber, meist eine bis zwei Seiten lang, dienen allerdings einigermaßen dazu, die eigenthümliche Darstellungsweise jedes Predigers kenntlich zu machen. Als Curiosität ist auch eine Stelle aus einer älteren, im Jahre 1721 gehaltenen Orgelpredigt von Weidner in Augsburg angehängt, worin die einzelnen Theile der Orgel symbolisch gedeutet werden; und zu einer vollständigen Liturgie bei einer Orgelweihe steht zum Schlusse noch ein Gebet, ein Lied (vom Sup. Starke in Delitzsch) und ein Text zur Kirchenmusik.[21]

Die Wiederentdeckung des Werks

Wie die vorherige Darstellung zeigt, lebte Weidners Orgelpredigt in verschiedenen Rezeptionszeugnissen weiter, die belegen, dass das Werk bekannt und greifbar war. Noch 1867 findet sich ein Exemplar des Drucks in einem regionalen Bibliothekskatalog verzeichnet.[22] Die besitzende Institution, der Historische Kreis-Verein im Regierungsbezirke von Schwaben und Neuburg hatte eine wechselvolle Geschichte und ging bereits 1871 im Historischen Verein Schwabens auf.[23] Die Bibliothek wurde 1929 an die Staats- und Stadtbibliothek Augsburg angegliedert. Der Bestand, wie er 1867 erfasst worden war, war zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits reduziert. Weidners Orgelpredigt gehörte nicht mehr dazu.[24]

Schließlich jedoch konnte geklärt werden, dass die Predigt in das Augsburger Stadtarchiv gelangt war. Dort trägt sie die Signatur Bestand 00513 Historischer Verein für Schwaben und Neuburg (Depositum), HP 261. Der Druck im Quartformat umfasst fünfeinhalb Bögen mit der Bogensignatur A-E2. Er hat 36 gezählte Seiten. Die Paginierung beginnt auf der Seite 5 am Beginn der Predigt und reicht bis zur letzten Seite 36. Das Werk besitzt Anmerkungen in der Fußzeile, die mit der Buchstabenreihe von (a) bis (q) bezeichnet sind. Sie werden in der vorliegendne Edition ebenfalls am Ende der entsprechenden Seite angezeigt und mit einer Linie optimisch vom Hautptext abgetrennt. Nur auf Seite 19 sind auch die Bibelstellen als Anmerkung in der Fußzeile angegeben, wobei hier Asteriske als Symbol dienen. Auf allen anderen Seiten erfolgt die Nennung von Bibelstellen im fortlaufenden Text. Marginalien werden nicht verwendet. Teil des Drucks ist der Text der vor und nach der Predigt aufgeführten Kantate (S. 34-36), die ebenfalls ediert wird.

Lucinde Braun

Einzelanmerkungen

  1. Vgl. Urlsperger, Leichenpredigt Weidner (1736), S. 31.
  2. Vgl. Urlsperger, Leichenpredigt Weidner (1736), S. 32. Im Nachdruck des Schriftenverzeichnisses erscheint der Titel in verkürzter und umgestellter Form: Gläubiger Kinder Gottes Gott=gefällige Music, Anno 1721. am XX. Sonntage nach Trinitatis bey Einweyhung der fast gantz neu erbauten Orgel, in der Kirchengemeinde zu St. Ulrich in Augsburg, Nachmittag über die gewöhnliche Epistel aus Eph. V, 15 seqq. vorgestellet, und auf Verlangen einiger Freunde in Druck gegeben. 4to. (Weidner, Glaubiger Kinder Gottes Creutz-Schule (1756), )()()()(1v.)
  3. Prof. Dr. Franz Körndle gilt ein herzlicher Dank für den Hinweis auf diese Quelle. Auch dem Stadtarchiv Augsburg danke ich für die Möglichkeit, den Druck einzusehen und in einer digitalen Publikation zugänglich zu machen.
  4. Vgl. Meyer, Orgel und Orgelbauer in Oberschwaben (1941), S. 270f.
  5. Vgl. Meyer, Orgel und Orgelbauer in Oberschwaben (1941), S. 272.
  6. Vgl. Wohnhaas, Augsburger Orgelstreit (1967).
  7. Vgl. den Abdruck der auf 1713 datierten Vorrede zur zweiten Auflage: Weidner, Glaubiger Kinder Gottes Creutz=Schul (1717), zum Gelübde besonders )()(1r.
  8. Weidner, Glaubiger Kinder Gottes Creutz=Erhöhung (1717), a1v.
  9. Vgl. Jesse, Evangelische Kirche in Augsburg (1983), S. 262-264, 276f.
  10. Vgl. Jesse, Evangelische Kirche in Augsburg (1983), S. 284-286.
  11. Vgl. Jesse, Evangelische Kirche in Augsburg (1983), S. 287.
  12. Vgl. Jesse, Evangelische Kirche in Augsburg (1983), S. 288f.
  13. Weidner, Uebung in der Gottseligkeit (1709), Vorrede des Autoris, )()()()(2r.
  14. Weidner, Glaubiger Kinder Gottes Creutz-Schule (1756), )()()(8v.
  15. Vgl. Jesse, Evangelische Kirche in Augsburg (1983), S. 288f.
  16. Vgl. Strohmeyer, Jubel- Religions- und Augen-Lust (1730), S. 107-120.
  17. Vgl.den Nachdruck des Lebenslaufs, in: Weidner, Glaubiger Kinder Gottes Creutz-Schule (1756), )()()(8v.
  18. Wagenseil, Geschichte der Stadt Augsburg 4,1 (1822), S. 174-176.
  19. Wagenseil, Geschichte der Stadt Augsburg 4,1 (1822), S. 174.
  20. Volbeding, Vergleichende Homiletik 2 (1833), S. 202-204. Als Vorlage dient ein Scan des Augsburger Exemplars dieses heute raren Werks: Augsburg, Universitätsbibliothek, D-Au, Oettingen-Wallersteinsche Bibliothek, Signatur: 02/XIII.8.8.504-2. Für die rasche Bereitstellung danken wir der Universitätsbibliothek Augsburg, insbesondere Frau Carolin Rawein und Herrn Dr. Peter Stoll. Ludwig Braun gilt unser herzlicher Dank für die Einsichtnahme in das Werk und die Ermittlung der benötigten Seiten.
  21. P. L., Rezension Volbeding, Zur vergleichenden Homiletik (1834) Sp. 112.
  22. Vgl. Catalog historischer Kreis-Verein (1867), S. 14.
  23. Vgl. http://d-nb.info/gnd/17736-2
  24. Für Nachforschungen nach dem Werk und die freundliche Auskunft per E-Mail vom 9. Dezember 2020 danken wir Frau Edeltraud Prestel, Staats- und Stadtbibliothek Augsburg.

Exemplare

Augsburg, Stadtarchiv (D-Asa): Bestand 00513 Historischer Verein für Schwaben und Neuburg (Depositum), Signatur HP 261

Bei dem Unikum handelt es sich um ein einzeln eingebundenes Exemplar in schwarz-braun marmoriertem Papier. Das Exemplar weist keine Benutzerspuren auf. Im Vorderspiegel eingeklebt ist ein Exlibiris, auf dem handschriftlich die Signatur Augs. No. 261. eingetragen ist. Das Exlibris besteht aus einem Oval mit dem Namen des Besitzers Johann Benedict von Paris. Die Darstellung des Wappens füllt die Mitte des Ovals. Es besitzt ein horizontal geteiltes Feld mit einem Löwen im oberen und drei Lilien im unteren Bereich. Johann Benedikt von Paris war ein bekannter Kunst- und Büchersammler, der seine Bibliothek (Handschriften, Drucke, Kupferstiche etc.) vor allem mit Literatur über Augsburg dem Historischen Verein für Schwaben und Neuburg hinterließ. Nach der Auflösung dieser Bibliothek verloren sich die Spuren des Werks zunächst. Es war jedoch als Depositum in das Stadtarchiv Augsburg gelangt. In modernen OPACs nicht erfasst, ergab eine Recherche Franz Körndles, dass die Orgelpredigt hier vorliegt.

Lucinde Braun

Portaldaten

Dieser Datensatz ist in folgenden Einträgen des Portals verknüpft:

Letzte Änderung dieses Dokuments am 18. März 2022.

Wenn Ihnen auf dieser Seite ein Fehler oder eine Ungenauigkeit aufgefallen ist, so bitten wir um eine kurze Nachricht an